Samstag, März 31, 2007

Billig Leben in Paris (5) - Culture moins chère

Wir haben mal wieder Besucher im Haus. Ein netter Anlass mal wieder richtig essen zu gehen - in eine der Creperien um die Ecke. Als ich mein Galette "Guéméné" bestelle wird die Bedienung skeptisch. "Mein Herr, der Koch empfiehlt dieses Gericht ausdrücklich nicht unseren ausländischen Gästen." Ich weiß nicht warum ich die Zweifel in den Wind schlage, am Ende sitze ich da mit einem Teller, der - wenn mich nicht alles täuscht - stinkt.
Runde fleischartige Kringel sind zu sehen, etwas scheint dort aufgerollt zu sein, die Kringel erheben sich wie kleine Brüste nach oben. Tapfer setze ich zum Verzehr an.
Wenn es ums Essen geht bin ich kein Kostverächter und durchaus auch neugierig auf Neues. Der Geruch überträgt sich glücklicherweise nicht eins zu eins auf den Geschmack - angenehm ist das alles jedoch nicht gerade.
Mein Mitbewohner ist ziemlich schockiert. Er schreibt eine Nachricht an einen französischen Freund und beschreibt ihm die abscheuliche Mahlzeit mit Bitte um Aufklärung. Die Antwort kommt zwei Minuten nachdem ich den Teller vollständig geleert habe: Ich habe soeben Darm gegessen - die Franzosen nennen das ganze viel feinsinniger "Andouille".

Eine kurze Recherche im Internet bestätigt: "Die Andouille ist eine französische Wurst, die im Wesentlichen aus dem Gekröse (bestimmte, sonst eher verschmähte Innereien) von Schlachttieren besteht, vor allem von Schweinen. Kleinere Formen sind auch als Andouillettes erhältlich."

Eine andere kulinarische Attraktion, die wir letztens "entdeckt" und daraufhin überaus reichlich konsumiert haben, ist der Champagner der Marke "Montparnasse". Das Gesöff ist nicht nur nach dem verkehrsreichen Platz und Bahnhof direkt vor unserer Haustür benannt - er kostet auch nicht mehr als 1,20 Euro und schmeckt entsprechend. Achtung beim Öffnen: Billiger Champagner ist für seine Explosivität bekannt - dieser hier hat tatsächlich eine Delle in unserer Decke hinterlassen.

Von billig zu noch billiger: Eines der billigsten Güter in Paris ist seine Kultur. Und damit wären wir endlich beim geplanten Thema des Artikels.
Dass Kultur hier so billig zu haben ist liegt vielleicht daran, dass sie hier im Überfluss vorhanden ist. An Sonntagen kann man von einer Kirche zur nächsten wandern und wird immer wieder in kostenlose Klavierkonzerte oder ganze Orchestervorführungen stolpern. Wenn man schon vorher wissen will, was überall gespielt wird, kann man sich am Zeitungskiosk "L'Officiel" holen, einen kleinen Terminkalender für mehrere Wochen.
Aber auch die "großen Künste" sind nicht unerschwinglich. Eine Vier-Stunden-Komplett-Oper gibts schon ab 6 Euro pro Student. Vor einer Woche waren wir zu diesem Preis in Händels "Ariodante" im "Theatre des Champs Elysées". Unsere Plätze waren ganz oben, in einer Art Holzkabine mit Fenster. Wenn der Stuhl auch noch ganz am Fenster steht, kann man ziemlich gut sehen, was vor sich geht. Wenn man in der zweiten Reihe sitzt bleibt nur zuhören oder aufstehen.
Eher zufällig nochmal große Kunst gabs dann letzten Sonntag: Zu einem kostenlosen Orgelkonzert in einer sehr modernen Kirche in der Nähe von Bastille war auch eine englische Opernsängerin erschienen.
Und die sang nicht nur - vom Publikum großenteils eher unerwartet begann sie, in aufwendigen Verkleidungen durch das ganze Gotteshaus zu huschen und an den überraschendsten Orten aufzutauchen. Bei einigen Besuchern konnte sie nicht widerstehen auch mal ganz spontan in die Haare zu greifen. Die Dame von der Pforte, wahrscheinlich die Vorsitzende des Pfarrgemeinderates oder etwas ähnliches, wunderte sich zunehmend. Als die Künstlerin an ihr vorbei rauschte schaute sie doch recht skeptisch über die Ränder ihrer Hornbrille hinweg - Kunst oder gotteslästerlicher Unfug?

Foto: Englische Opernsängerin in Pariser Kirche.

Mittwoch, März 28, 2007

La France des Associations


"Jeder richtige Franzose gehört einer Association an" erklärte mein Professor in der Uni am Dienstag und machte die Runde, um festzustellen, wer alles ein guter Franzose sei. Und siehe da - neben allem sprachlichem Fortschritt: Um Franzose zu werden muss ich noch einer "Association" - also quasi einem Verein beitreten.
Am nächsten Abend bin ich da schon viel weiter: Im "Sous Bock" trifft sich meine erste "Association". Das war jetzt aber tatsächlich Zufall - schon länger hatte mir ein Freund aus Paris vorgeschlagen "doch mal vorbei zu kommen". Die Gruppe, die sich im "Bierdeckel" (genau das heißt Sous Bock) trifft, gehört der "Afasp" (Association franco-allemande pour les stagiaires professionnels) an und ist platt gesagt ein Stammtisch. Im Sous-Bock trifft sich aber der "Jugendkader" und somit ist die Sache doch schon viel interessanter. Ich lerne eine Menge Leute kennen, Deutsche die in Frankreich wohnen, Franzosen, die deutsch lernen wollen. Und zum Beispiel Renan, der gerade sein Deutsch auffrischt, weil seine Freundin aus Deutschland kommt. Wir sprechen aber hauptsächlich französisch - an seinem ersten Abend hier geht das noch schneller.
Renan ist etwa so alt wie ich und "Schauspieler und Musiker". Ich kann mir zunächst nicht recht erklären wie er so Geld verdient, aber neben Engagements für Werbung und Serien von TF1, so stellt sich heraus, steht er tatsächlich bei Sony unter Vertrag. "Wir sind ein bisschen wie die französischen Beatles" erklärt er und fügt hinzu "nächstes Jahr sollen wir groß rauskommen". Im Internet ist seine Gruppe ">Folkom" tatsächlich schon recht professionell aufgestellt (siehe auch auf dieser Seite unter >Videos). Er erklärt mich zu seinem Deutsch-Lehrer. Toll! Jetzt werd ich vielleicht auch bald berühmt.
Später unterhalte ich mich noch ein bisschen mit zwei Bilingualen. Beide haben die doppelte Staatsbürgerschaft und deutsche Eltern, aber noch wenig Zeit in ihrer zweiten Heimat, Deutschland, zugebracht. Ich erkläre, dass ich sie um ihre Bilingualität beneide - alles muss einem so leicht fallen.
Doch scheinbar ist dem nicht immer so. Übereinstimmend erklären beide, dass man auch Nachteile hinnehmen muss. So ist man in beiden Ländern der "Exot" und Aussenseiter. Und dass man beide Sprachen wirklich perfekt beherrscht ist fast nicht möglich - es ist immer phasenweise die eine oder andere Sprache, in der man fitter ist, erklärt mir eine der beiden. Ihr Nachbar bedauert, dass seine deutsche Grammatik beim schnell sprechen doch sehr hakt. Dass einem alles leichter fällt stimmt auch nicht. Er ist in der Schule sitzen geblieben.

Foto: Europa wird 50, Erasmus wird 20. Zu diesem Anlass wimmelt es nur so von Festakten. Über meinen Mitbewohner habe ich mich auf die Gästeliste der deutschen Botschaft setzen lassen, die Festreden und ein kaltes Buffet verspricht. Nachdem wir die Einladung um ein Haar vergessen hätten, zeigt sich der Empfang als ziemlicher Reinfall - aber immerhin verbilligen kostenloses Bier und Wein den weiteren Wochenendverlauf. Das Bild ist im Botschaftsgarten aufgenommen.

Dienstag, März 20, 2007

Neulich in der Metro

Von Zeit zu Zeit trifft man ein paar seltsame Gestalten in der Metro. Bei ganz besonders seltsamen Gestalten mache ich mir nachher manchmal ein paar Notizen. Im Folgenden handelt es sich um ein nettes, aber etwas trauriges Beispiel:

An der Station „Creteil l’Echat“ steigt eine Frau in die Metro.

Zuerst setzt sie nur ein Bein in die Metro und raucht, halb im Freien stehend, ihre Zigarette zu Ende. Dann – einen Augenblick bevor die Türen schließen, lässt sie die Kippe fallen und steigt ganz ein.
Sie setzt sich in die Sechser-Bank im hinteren Abteil des Wagens. Sie holt ein Notizbuch hervor und beginnt einige Sätze zu schreiben. Ich sitze ihr gegenüber und betrachte das Notizbuch – es sieht genauso aus wie meines. Sie fragt mich nach dem Datum.
In das Notizbuch sind einige Zettel geklemmt. Die Frau spielt mit einigen Mc Donalds Gutscheinen herum, klappt sie auf und zu und fragt mich schließlich ob ich welche davon haben möchte.

Nein? Dann fragt sie, ob ich Ausländer sei, ein Gespräch beginnt. Woher ich komme, was ich mache.

Ja, Geographie interessiert sie auch, bei Ökonomie dagegen könnte sie kotzen. Ja wirklich, an dem Tag, an dem sie herausfand wie die Wirtschaft funktioniert – sie hat darüber nachgelesen – hätte sie einfach nur kotzen können.

Sie interessiert sich für vieles. Sie kommt aus Yugoslawien. Heute gibt es das Land nicht mehr. Da sie selbst teils kroatische, serbische, bosnische und montenegrinische Wurzeln hat, kommt sie jetzt aus vier Ländern – genauso gut wie aus keinem. Da könnte sie auch kotzen. Wie man mit Religion als Vorwand so einen Krieg veranstalten kann. Naja, in Wirklichkeit ging es da ja auch um die Wirtschaft. Schlimmer noch, um die Wirtschaft von nur ganz wenigen Leuten.

Sie mag den Winter hier nicht. Wenn es kalt ist geht es ihr schlecht. Sie rückt ihren alten Pelzmantel zurecht.

Die Astronomie interessiert sie auch. Sie hat erfahren, dass es einen kleinen Stern gibt, der so heißt wie sie: Tana. Sie kann sich nicht genau erinnern, in welcher Galaxis der Stern liegt. Aber sie würde sich wünschen, irgendwann mal da hin zu fliegen. Sie weiß natürlich, dass das nicht geht.
Ob man weiß, was auf dem Stern vor sich geht? Es ist nur ein kleiner Stern – da ist nichts los. Nur ein kleiner Stern, wie sie selbst – kein großer Star.

Aber eigentlich ist die Frau Musikerin. Musik mag sie wirklich gern. Da gibt es etwas, das sie jetzt zuende bringen will – ihr Album. Ein eigenes Musikalbum. Danach will sie schon auch wieder was richtig Vernünftiges arbeiten – Wirtschaft und so. Aber vorher das Album.

Sie hat einmal für einen berühmten Jazzmusiker gearbeitet. Die Musik hat sie nicht wirklich gemocht, aber da hat sie angefangen an einem eigenen Album zu basteln. Ihrs hat eher einen funkigen Stil. Das Album wird „Stoppt den Krieg“ heißen. Der Titelsong: „Ich liebe euch alle“.

Foto: Metrostation Strasbourg-St. Denis

Zur Jagd, Messieurs!

Wenn es dem Pariser nach der guten alten Fuchsjagd gelüstet - oder etwa nach einem Topf Hirsch-Gulasch zum Abendessen - dann hat er natürlich die Möglichkeit, sein Glück im Bois de Boulogne zu versuchen, ganz wie der Adel in alten Zeiten. Doch wird er feststellen, dass jener Wald längst nicht mehr so sehr zur Jagd taugt, das Naturerlebnis viel mehr durch Jogger, Autolärm und Stricher gestört wird, die einem ständig vor die Flinte laufen.
Aber es gibt Abhilfe. Für das Hirsch-Gulasch sorgt die Küche im Hotel "George V", das Jagd-Ambiente findet man im "Maison de la Chasse" im dritten Arrondissement.
Als wir zu unserem Samstags-"Jagd"-Ausflug vor dem Haus ankommen sehen wir gleich: Wir sind heute die jüngsten Besucher. Eine Kohorte Malteser schiebt gerade eine Ladung Rollstühle in die Lobby - alles alte Jäger vermute ich mal.
Aber die Herrschaften wissen was gut ist: Ein ganzes Sortiment kunstvoller Bärentöter und ein ganzer Zoo von Trophäen sind dargeboten. Sicher ist dieses Museum nicht für jeden Geschmack geeignet. Doch wer sich einprägt, dass all diese seltenen Tiere sicherlich starben, bevor auch nur eines von ihnen einen Tierschützer vom WWF kennen lernen konnte, kann sich beruhigen: Die Sammlung wird nicht weiter vergrößert.
Leoparden, Nilpferde, Elche und Eisbären gehören zum Inventar des Hauses. Daneben immer wieder Jagdszenen auf alten Gemälden und geschmacklose Suppenschüsseln in Wildsau-Kopf-Dessin. Ein Skurilitäten-Kabinett einerseits, andererseits super schicke Interieurs aus dem 19. Jahrhundert - Florian weiß gar nicht mehr wo ihm der Kopf steht.
Moderne Ausstellungen im oberen Stockwerk, sowie in einem der Seitenflügel beleuchten, sozusagen als Ausgleich, die umstrittenen Aspekte der Jagd. Abschreckend großformatige Fotos lassen einen fast zum Vegetarier werden...

Dann doch lieber blonde Schwedinnen Jagen - im Haus der schwedischen Kultur um die Ecke - da gibts auch Kuchen und Kaffee zum "runterkommen".

Fotos: Roter Teppich vor Gewehr-Sammlung und Trophäen-Saal (Ausschnitt).

Donnerstag, März 15, 2007

Inland Empire - französisches Kino (1)

Wir waren mal wieder im Kino. In einem winzig kleinen Programm-Kino, nur einen Häuserblock von der Sorbonne entfernt, im Quartier Latin. "Inland Empire" von David Lynch - ein Film der so verwirrend ist, dass man immer wieder resigniertes Aufstöhnen aus dem Dunkel des Kinosaals vernehmen konnte.

Was das Kino angeht, ist Frankreich überraschend international. Sämtliche Filme laufen in ihrer Originalversion, Übersetzungen gibt es zwar auch, aber offensichtlich sind die nicht sonderlich populär. Und was die Zahl der Kinos angeht, ist Paris einfach eine Wucht. Allein rund um den Bahnhof Montparnasse, wo wir wohnen, gibt es ein halbes Dutzend. Weitere populäre "Kino-Quartiere" sind am Boulevard St Germain rund um die Metrostation "Odeon" und im Bereich von Pigalle. Dazu kommen natürlich die großen Multiplex Kinos, zum Beispiel im Zentrum von Les Halles oder in Bercy.

Doch ist die Popularität von Kino in Paris nicht verwunderlich: Nicht nur schützt Frankreich seinen Film bis heute relativ erfolgreich vor Hollywood (unter anderem durch das nachlässige Übersetzen amerikanischer Filme) - das Kino wurde in dieser Stadt sogar erfunden! Das zumindest lernt man in Frankreich.

Am 28. Dezember 1895 veranstalten die Brüder Lumière die erste öffentliche Filmvorführung mithilfe ihres gerade erfundenen "Cinematographen". Das erste "Kino" - eigentlich eine Bar - liegt auf dem Boulevard des Capucines Nr 25, zwischen Madeleine und Oper. In unserem "Cinema"-Kurs an der Uni haben wir den Kassenschlager von damals gesehen: Ein Zug fährt in einen Bahnhof ein - spek-ta-ku-lär. Die Zuschauer damals sollen allerdings panisch aus ihren Stühlen aufgesprungen sein, befürchtend, jeden Moment von dem Zug auf der Leinwand überrollt zu werden.

Schließlich war Frankreich nicht nur die Wiege des Kinos - auch seine erste Hochburg. Das erste Hollywood - auch in Paris. Im 20. Arrondissement entstanden in der Stummfilmzeit die Studios von Charles Pathé. Der "Napoléon de Cinéma" baute ein ganzes Imperium des Films auf: Schauspieler, Filmproduktion, Filmverleih und Kinos - alles aus einer Hand und zwar auf der ganzen Welt. Pathé Filme wurden in den USA und in Indien gezeigt - und produziert. Eine Art früher Globalisierung. 1909 kommen 70 Prozent aller Filme auf der Welt aus den Studios von Pathé.

So wie alles böse aus dem Osten kommt, so kommt es auch für den Film: Der erste Weltkrieg, also irgendwie die Deutschen sind am Niedergang des ersten französischen Film-Imperiums schuld: Die Pathé-Studios produzieren Waffen und die Soldaten schauen während des Fronturlaubs amerikanische Streifen.

In einem anderen Kurs mit dem Titel "Debats contemporaires" behandeln wir auch gerade das Thema Film. Unser Dozent, der ältere Herr, den ich auch schon in "Expression orale" im letzten Semester hatte, schert sich einen feuchten Furz um seinen eigentlichen Lehrplan. Er will den Beweis antreten, dass früher alles besser war - und zeigt uns dazu 4 verschiedene Versionen von "Les Miserables". Die ersten beiden sind schwarz-weiß und laut unserem Dozenten den moderneren Versionen (vor allem der mit dem furchtbaren Gerard Depardieu) haushoch überlegen. Jede Bewegung, jedes Detail der Ausleuchtung - alles hat etwas zu bedeuten in den alten Streifen. In den neuen Farbfilmen ist doch alles beliebig und undurchdacht. Seit drei Sitzungen sind wir jetzt schon dabei mit ihm über die schlechte Qualität heutiger Kinofilme zu diskutieren und das Übel moderner Zeiten im allgemeinen zu ergründen. Mein Argument war, dass er schlecht ein Original mit drei "Remakes" vergleichen könne und da doch eher ein Original moderner Zeiten heranziehen solle.
Auf seine Gegenfrage, was ich denn vorschlagen würde, hatte ich keine wirklich überzeugende Antwort. Ich hätte vielleicht sagen sollen: "Inland Empire von David Lynch - da hat alles so viel Bedeutung, dass das ganze Kino stöhnt!"

Foto: Abendstimmung über den Dächern von Paris, von unserem Balkon aus gesehen.

Montag, März 12, 2007

Le Roi Est Mort - Vive le Roi!

Der alte Mann hat abgedankt. Der Präsident der Republik, Jacques Chirac hat in einer Fernsehansprache angekündigt Frankreich "autrement" - also andersrum dienen zu wollen, vulgo: den Hut zu nehmen und sich in den anstehenden Wahlen nicht gegen Sarkozy (aus dem gleichen Lager) zu trauen.
Jacques Chirac war sehr bewegt in seiner Ansprache und mit Krokodilstränen in den Augen (und einer Cola on Ice in der Hand) haben wir festgestellt: Er ist offensichtlich ziemlich zufrieden mit dem was er so angestellt hat. Die meisten seiner "Compatriots" sind da eher zurückhaltender mit ihrer Euphorie. Wer war dieser Präsident? Der Mann zwischen Mitterrand und der ersten Frau im Amte? Oder schlimmer noch: Der Mann zwischen Mitterrand und dem anderen, kleineren Mann? (dritte Möglichkeit: Der Mann zwischen Mitterand und Francois Bayrou - und das ist wirklich keine schöne Vorstellung.)
In seinem voraussichtlich letzten großen Moment gab Chirac seinen "Compatriots" noch die Tipps, die ältere Männer gerne geben (bändelt nicht mit den Extremisten, um zehn gehts ins Bett, etc...), machte jedoch auch deutlich: "Ich könnte jetzt sagen wen ihr wählen sollt - mach ich aber nicht!" Klarer Fall von Antipathie gegen den Emporkömmling Sarkozy, der Chirac - darauf deutet derzeit alles hin (vor allem die anhaltende Unfähigkeit des Wahlkampfteams von Ségolène) trotzdem beerben wird. Aber die Theatralik erlaubt er sich - vielleicht ja wissend, dass das Ende ihrer Amtszeit noch die wenigsten französischen Präsidenten länger überlebt haben.
Zufälligerweise (und doch scheinbar irgendwie passend) waren wir am selben Tag in der Kathedrale von Saint Denis. Dort sind unter aufwendigen "Liegend-Statuen" nahezu alle französischen Könige beerdigt. Doch auch das wird dem ehemaligen Präsidenten niemals vergönnt sein: Seit der französischen Revolution ist es vorbei mit Vorzugsgräbern in dieser prominenten Lage.

Fotos: Oben: Nachdem es eigentlich jedem schon klar war hat er es nochmal klargestellt: Jacques Chirac verzichtet auf eine weitere Kandidatur. Unten: Zwei von fast 80 adligen Häuptern, die in der Kathedrale von St Denis die Zeit nach ihrer Demission verbringen. Die Kathedrale liegt mitten im Problem-Banlieue St Denis.

"Servir Autrement" - die Rücktrittserklärung im Internet: > hier

Donnerstag, März 08, 2007

Sonnenbrillen und Fliegerinnen


Dirk hat eingeladen - sturmfreie Bude und "Eier mit Mayo". Dirk wohnt zusammen mit einem rustikalen Franzosen, der in einer Ente Touristen durch Paris fährt. Ansonsten studiert er Deutsch und ist Fan von Rugby, Feldhockey und der DDR. Die Wohnung ist entsprechend ausgestaltet: Wimpel der DDR-Rugby-Mannschaft (ich wusste nicht, dass es das gab) und Hockeystöcke. Dazwischen Dirks modische Accessoires. Unter anderem: Zweihundert-Pfund Sonnenbrillen, die sich auf einigen Fotos ganz wunderbar machen...

Am überaus prunkvollen Eingang unseres Hauses in der Rue de Rennes ist eine Gedenktafel angebracht: Im selben Haus wohnte in den 30er Jahren Hélène Boucher "Aviatrice Francaise". Da ich selbst süchtig nach allem bin, was mit Fliegen und Flugzeugen zu tun hat, habe ich mich natürlich mal ein bisschen informiert.
In unserem Haus wohnte in den 30er Jahren nicht nur "eine" französische Pilotin, Madame Boucher war bekannt als "die schnellste Frau der Welt".
Angefangen hatte sie sehr feminin mit der Anfertigung von Fliegermützen. 1931 wurde sie erste weibliche Flugschülerin ihres Aeroclub de Landes in Mont-de-Marsan und begann ihre kurze, aber steile Karriere.
Im Jahr ihres Todes 1934 stellte sie mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 485 Stundenkilometern auf 100 Kilometern einen Rekord auf und bemerkte beim Aussteigen aus ihrer Maschine "das geht besser". Auf ihrem Schrank im Wohnzimmer standen außerdem acht weitere Trophäen für verschiedene Weltrekorde. Unter anderem für den Höhenrekord der "Frauen in leichten Flugzeugen" von 5200 Metern.
Über ihrem Flugplatz in Versailles verunglückte sie schließlich bei einem Übungsflug tödlich. Doch als Kunstfliegerin hatte sie einigen Ruhm gesammelt und so wurde die Frau der Rekorde schließlich auch noch die erste Frau, die im Pariser Invalidendom aufgebahrt wurde. Postmortem schlug man sie zum Ritter der französischen Ehrenlegion und vermietete ihre alte Wohnung an zwei ausländische Studenten - und das zu einem überaus fairen Preis.

Foto (unten): Gedenktafel an unserem Hauseingang.

Montag, März 05, 2007

London gegen Paris


Das letzte Wochenende haben Lee und ich einen Ausflug ins gar nicht so ferne London gemacht. Mit dem Eurostar fährt man nur etwa zweieinhalb Stunden und ist zu einem Full English Breakfast bereits in der Stadt an der Themse.
Hauptziel unseres Unternehmens war es, die Familie von Lee zu besuchen. Nebenher blieb aber noch genug Zeit für die Stadt selbst.
London und Paris konkurrieren hart in ihrer Attraktivität. Doch einige eklatante Unterschiede legen die Charaktere der beiden Städte fest: Paris ist die Stadt der Ferien, London die Stadt der Arbeit. In Paris sieht man keine Bank-Hochhäuser. Es gibt kaum reine Büroviertel wie in London. Paris ist die Stadt des "Laisser faire" und die meisten Engländer, die den Zug durch den Tunnel nehmen, haben Urlaub im Sinn. Pariser, die nach London fahren, sind dagegen eher selten wegen der guten Seeluft unterwegs.
London ist viel moderner. Die Architektur ist ein Mischmasch wie es sich für eine Weltstadt gehört. Die Uferpromenaden sind nicht pitoresk wie in Paris sondern chaotisch überbaut. Wolkenkratzer wie das ovale Gherkin-Gebäude verschaffen der Stadt alle paar Jahre eine neue Silhouette. Im beschaulichen Paris können nur Kenner die Stadt der 70er Jahre vom heutigen Paris unterscheiden. London ist ausufernd und nicht überall wirklich schön und sehenswert. Paris ist herausgeputzt und hat kaum "Problemstellen".
Paris ist außerdem viel kleiner. In Paris lebt man auf einer sprichwörtlichen Wohlstands-Insel und kümmert sich nicht um den Rest von "Ile de France". London ist das ganze Bild. Nicht nur das schöne Zentrum, auch die Arbeiterviertel und Hochhaussiedlungen der Vorstadt gehören dazu. Die Underground fährt bis raus, wo der Acker anfängt.
Und das ist auch ein Unterschied zwischen den beiden Metropolen: Die Underground sieht zwar schnittiger aus als die gemütlichen Metro-Waggons im Pariser Untergrund, aber mit der Funktionstüchtigkeit ist es nicht so weit her. Jedes Wochenende werden zur Überholung gleich mehrere Streckenabschnitte komplett geschlossen. In den Wagen fehlen Feuerlöscher und die Luft ist stickig. Und der Preisunterschied ist enorm: Von der Endstation ins Zentrum von London kostet einfach etwa 7 Pfund.
Paris ist die Stadt der schönen Kunst und Kultur, London ist Party-Metropole. Jedes Wochenende fährt das E-Croud mit dem Eurostar rüber zum durchfeiern. Wir sind dieses eine Wochenende natürlich mitten drin. Und noch etwas hat London, das in Paris fehlt: Eine alternative Szene, etwas wie das Hamburger Schanzenviertel oder der Berliner Prenzl-Berg. In London heißt das zum Beispiel "Camden-Town" und ist schon heftig "gentrificated". Das heißt, es ist nicht mehr wirklich so richtig alternativ, sondern vor allem teuer und "ausgeflippt". Nichts desto trotz: In Paris gibts das nicht. In Paris gibt es nämlich offiziell keine Minderheiten. Alle, die in Frankreich leben, sollen auch Franzosen sein. Und so kommt natürlich keiner auf die Idee mal das Viertel der schwarzen Franzosen auf seine alternativen Qualitäten zu untersuchen. Die gibt es sicher - ich bin Fan von einigen Straßen rund um die Bahnhöfe, in denen es von ausländischen Küchen, Geschäften und Festivitäten nur so wimmelt. Doch zieht es die Kreativen noch nicht wirklich in diese Viertel. Die ethnischen Ecken von Paris bleiben unerschlossen, in London taumelt man von einem orientalischen Imbiss in die nächste Galerie und die übernächste Second-Hand Buchhandlung.
Und in den sanften grünen Hügeln außenrum fahren Gentlemen in Landrovern ihre Jagdhunde spazieren und englische Ladies sitzen in Parks vor umwerfend schönen Anwesen und trinken Tee. Ach wie gerne wäre ich doch ein englischer Großgrundbesitzer.

Fotos: Oben: London, England - mit 7,4 Millionen Einwohnern drittgrößte Stadt Europas nach Istanbul (8,8 Millionen) und Moskau (8,4 Millionen). Paris ist mit nur etwa 2,1 Millionen Einwohnern bedeutend kleiner (sogar Berlin hat mehr), verzichtet aber lieber auf die unschönen Vorstädte und rechnet nur die Einwohner der inneren 20 Arrondissements ein.
Unten: Camden Lock in Camden Town. Diese Art "alternativer" Viertel sucht der Yuppie in Paris vergebens.